Königshausen u. Neumann, 2015
ISBN 978-3-8260-5780-9
Spuras Kindheit war geprägt von der Scheidung seiner Eltern, „von vielen Jahren erbitternden Streits, von Hass, Eifersucht, Lügen, Treuebrüchen und Schuldzuweisungen.“ Hilflos fühlt sich der empfindsame Junge diesem Klima ausgesetzt.
In der Schule war er verträumt und folgte nur sehr unaufmerksam dem Unterricht. Wehrlos ertrug er die Hänseleien seiner Mitschüler. Leistungsdruck verachtete er. Er fragt sich: „Konnte es immer nur einen Sieger und einen Besiegten geben, einen Täter und ein Opfer, einen erbitterten Kämpfer und einen nachgiebigen Dulder?“ Ähnlich wie Hermann Hesse empfand er schon früh, dass er nur eine Chance hätte, wenn es ihm gelänge, sein Eigenwesen durchzusetzen. Doch was definierte dieses? Hesse wusste immerhin, dass er Schriftsteller werden wollte.
Den Ausschlag für seine intensive Hinwendung zum Traum gab das Verlassenwerden von der Freundin im 19. Lebensjahr. Ein Allerweltsereignis, das ihn in eine tiefe Krise stürzte. Fortan suchte er Kraft aus den eigenen Traumbildern zu schöpfen. In 7000 aufgezeichneten Träumen spürt er dem inneren Gefüge menschlichen Zusammenlebens nach. In der Überzeugung, dass es nicht primär die äusseren Ereignisse sind, sondern das, was die Seele an ihnen erlebt, die das Eigentliche des Menschen ausmachen, entschließt sich Martin Spura, nicht eine der Biographien, wie man sie gewohnt ist, zu schreiben, sondern eine, in der gedeutete Träume die inneren Konflikte und ihre Bewältigung offenlegen.
Träume sind ehrlich. Verwirrend sind sie nur dadurch, dass sie vielschichtig sind, und sich ihre Bilder nicht sofort erschließen. Dadurch aber sind sie auch ein Mittel, um den Menschen in tiefere Dimensionen zu führen, wenn man sich im Nachspüren und Unterscheiden der Traumebenen übt. Trotzdem dürfte Traumdeutung nur ein Werkzeug, aber kein Heilsweg sein. Das wird vielleicht nicht zuletzt an Spuras Träumen über Johannes Tauler, einen bekannten Mystiker des 14. Jahrhunderts, deutlich.
37 x träumte Spura von ihm, zu dem er eine innige Verbundenheit spürte, und von dem es in einem Traum sogar hieß, wenn eines sicher sei, dann dass Spura einst Johannes Tauler war. Dennoch schmerzen ihn heute dessen einstigen Worte der Abkehr von allem Geschaffenen, damit Gott in der Seele geboren werde könne.
Diejenigen, denen Reinkarnation eine Tatsache ist, stehen hier vielleicht vor einem Rätsel. Ist Spuras Leben wirklich eine Weiter-, eine Höherentwicklung der Tauler-Inkarnation? Auch wenn nachvollziehbar ist, dass Spura unter seiner scheinbar unfreiwilligen Isolation litt, so ist doch eine Steigerung der eigenen Lebensqualität nur auf dem Weg der Loslösung von den Anhaftungen an alles Innerweltliche möglich. Denn solange man am Innerweltlichen hängt, ist man ein Spielball der einzelnen Elemente. Dann entscheiden sie über Glück und Wehe. Doch eine solche Einsicht ergibt sich offensichtlich nicht aus dem Traumleben, sondern aus dem wachen Erfassen der beiden Komponenten des Ganzen, des Ewigen und des Raum- Zeitlichen.
Zum Glück kam Martin Spura von der Idee ab, das Buch als einen Roman zu schreiben. Nur als authentischer Lebensbericht kann er ein wertvolles Dokument denen sein, die sich ernsthaft mit Lebensfragen auseinandersetzen.